Analyse der thermischen Kopplung von Schmelze, Gefüge und Werkzeug zur präzisen Vorhersage von Schwindung und Verzug im Spritzgießprozess

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Sowohl die Kunststoff- als auch die Metallverarbeitung haben in Bezug auf die urformenden Verfahren gemeinsam, dass zunächst eine Schmelze in die abzuformende Kavität des Werkzeugs befördert wird und dort erstarrt. Temperaturausgleichsvorgänge zwischen Schmelze, sich ausbildenden Gefügestrukturen und Werkzeugform bestimmen hierbei die resultierenden Ordnungszustände auf molekularer und atomarer Ebene, die sowohl die Ausbildung der Morphologie als auch die Entstehung von Eigenspannungen entscheidend prägen. Eigenspannung und morphologiebedingte Inhomogenitäten der mechanischen Eigenschaften führen bei Kunststoffbauteilen zu Schwindung und Verzug. Dies führt zu gravierenden Problemstellungen während des Herstellungsprozesses hoch präziser Bauteile, die eine niedrige Toleranz hinsichtlich der Endkontur verlangen. Die zugrundeliegenden Mechanismen werden bisher in der Forschung zur Kunststoffverarbeitung in der Gesamtheit jedoch noch nicht betrachtet. Gründe hierfür sind sowohl fehlende Modelle für die Temperaturausgleichsvorgänge zwischen Schmelze, Gefüge und Werkzeug als auch fehlende thermische und mechanische Materialdaten in Bezug auf die Morphologie und die aufwendige Ermittlung von Wärmeübergangskoeffizienten der Materialpaarungen Metall/Kunststoff. In Teilprojekt B04 sollen die Temperaturausgleichsvorgänge und die entstehenden lokalen mechanischen Eigenschaften mit dem Ziel einer Verbesserung der Vorhersagegenauigkeit des Verzugs von Kunststoffbauteilen untersucht und in den anschließenden Förderperioden modelliert sowie in der Spritzgießsimulation berücksichtigt werden. Bisherige integrative Simulationsansätze vernachlässigen die Ausbildung von Gefügestrukturen während des Prozesses und nutzen Materialmodelle, die bei nicht prozessrelevanten Kühlraten kalibriert werden. Dies führt zu signifikanten Unterschieden zwischen Simulation und Realität, wodurch kostenintensive und nachträgliche Anpassungen des Spritzgießwerkzeugs erforderlich werden.

Um die Simulation zu verbessern wird in Zusammenarbeit mit B07 eine Mehrskalensimulationskette entwickelt (vgl. Bild 1).

  Bild 1: Schema der Mehrskalensimulationskette bestehend aus der Füllsimulation, der Gefügestruktursimulation, der Homogenisierung und der Verzugsvorhersage. Urheberrecht: © SFB 1120 Bild 1: Schema der Mehrskalensimulationskette bestehend aus der Füllsimulation, der Gefügestruktursimulation, der Homogenisierung und der Verzugsvorhersage.
 
 

Die Mehrskalensimulationskette wird durch eine Füll- und Erstarrungssimulation auf der Makroskala (~cm) in COMSOL, Comsol Multiphysics GmbH, Göttingen initiiert. Die berechneten Temperatur- und Geschwindigkeitsfelder aus der Füllsimulation werden im zweiten Schritt dazu genutzt lokale Gefügestrukturen mittels der eigens entwickelten Software SphäroSim zu berechnen. Auf Basis der Gefügestruktur werden mittels HOMAT (B07) thermische und mechanische Eigenschaften der lokalen Gefügestrukturverteilung berechnet. Die lokalen mechanischen Eigenschaften werden in ABAQUS, ABAQUS Inc. Palo Alto, Karlifornien, USA mit der berechneten Schwindung aus der Füllsimulation verknüpft und der resultierende Gesamtverzug berechnet.

Die Mehrskalensimulationskette wurde in der zweiten Förderperiode des Projektes um die Berechnung der Kristallisationswärme während der Erstarrung in der Gefügestruktusimulation erweitert. Dadurch kann die Wärmeentwicklung an der Erstarrungsfront beim Wachstum der einzelnen Gefügestrukturen berücksichtigt werden. Allerdings erfordert die Berücksichtigung der Kristallisationswärme eine thermische Kopplung der Gefügestruktursimulation mit der Füllsimulation, da das genaue Erstarrungsverhalten einen besonderen Einfluss auf die Prozessschritte „Füllung“ und „Nachdruck“ im Spritzgießprozess hat. Aus diesem Grund wurde eine Iterationsschleife zwischen der Gefügestruktursimulation und der Füllsimulation entwickelt um das Erstarrungs- und Temperaturverhalten zwischen den Simulationen anzugleichen.

Darüber hinaus wurde in der zweiten Förderperiode ein pvT-Materialmodell, welches den Zusammenhang zwischen Druck, dem spezifischen Volumen und der Temperatur eines Materials beschreibt, für prozessrelevante Kühlraten bei dem betrachteten isotaktischen Polypropylen entwickelt.

 
  Vorhersage des CTD-Modells im Diagramm mit den Messdaten der pvT-Messzelle, der DSC und der Flash-DSC (links). Schema der Messbereiche, die durch die verschiedenen Messtechniken abgedeckt werden (rechts). Urheberrecht: © SFB 1120 Bild 2: Vorhersage des CTD-Modells im Diagramm mit den Messdaten der pvT-Messzelle, der DSC und der Flash-DSC (links). Schema der Messbereiche, die durch die verschiedenen Messtechniken abgedeckt werden (rechts).
 
 

Unter der Verwendung einer pvT-Messzelle (geringe Abkühlraten unter versch. Drücken), der Dynamischen Differenzkalorimetrie (DSC) (geringe und mittlere Abkühlraten unter Umgebungsdruck) und der Flash-DSC (hohe Abkühlraten unter Umgebungsdruck) wurde das Kontinuierliche zwei-Domänen pvT-Modell (CTD-Modell) für das isotaktische Polypropylen kalibriert (vgl. Bild 2). Allerdings konnte das Modell noch nicht bei gleichzeitig hohen Drücken und hohen Kühlraten, wie es im Spritzgießprozess der Fall ist, validiert werden. Dennoch zeigt das Modell eine hohe Übereinstimmung mit einem Bestimmtheitsmaß von R² = 0,993 den Messdaten aller drei Messsysteme (vgl. Bild 2). Die Messungen der Flash-DSC wurde ebenfalls zur Bestimmung des Kristallisationsverhalten bei hohen Abkühlraten für die Gefügestruktursimulation verwendet. Dabei konnte mit einem nicht-isothermen Modell für die Formierung und Wachstum der Gefügestrukturen ein Bestimmtheitsmaß von R² = 0,957 erreicht werden.

In der finalen Förderperiode sollen die neuen Materialmodelle und Techniken dazu verwendet werden, eine präzise und verlässliche Verzugsvorhersage zuliefern. Darauf aufbauend wird eine Kompensationsstrategie entwickelt, die den finalen Bauteilverzug auf Basis der entstehenden Gefügestruktur minimieren soll. Dabei wird besonderer Wert auf die thermischen Bedingungen im Bauteil während des Spritzgießprozesses gelegt, da diese maßgeblich für die Formierung und das Wachstum der Gefügestrukturen sind.